Abwärme messen oder schätzen?
Pflichten, Potenziale und Herausforderungen durch das EnEfG

Neben der verschärften Pflicht rund um die Einführung der ISO 50001 und der Veröffentlichung von Energieeinsparplänen geht es im dritten wesentlichen Teil des Energieeffizienzgesetzes (§§16 und 17 EnEfG) um das Thema Abwärme. Unternehmen sind seit jeher damit konfrontiert, dass Anlagen, Prozesse und Maschinen Abwärme als Nebenprodukt ihrer wertschöpfenden Arbeit abwerfen. Viele nutzen Teile dieser Abwärme auch bereits, aber nach wie vor bestehen trotzdem noch große Potenziale für die weitere Abwärmenutzung. Das Energieeffizienzgesetz baut hier Druck auf, damit Unternehmen sich mit den Potenzialen beschäftigen.
Wo und wie Unternehmen beim Thema Abwärme ansetzen können, wo eine Nutzung unwirtschaftlich wird und was das Gesetz dazu eigentlich genau vorschreibt und was nicht, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Hinweis: Einen Überblick über alle Anforderungen des EnEfG liefert unser Beitrag über das Energieeffizienzgesetz und was es für Unternehmen bedeutet.
Wichtige Begriffe & Definitionen zu Abwärme im Energieeffizienzgesetz
Als Grundlage und für das bessere Verständnis der konkreten Gesetzesinhalte haben wir im Folgenden die wichtigsten Begriffe und Definitionen zum Thema Abwärme gemäß den EnEfG-Definitionen gesammelt:
- Abwärme ist die Wärmeenergie, die bei industriellen Prozessen, Maschinen oder Anlagen als (ungewolltes) Nebenprodukt entsteht. Entweder wird sie genutzt oder einfach an die Umgebung abgegeben.
- Eine Abwärmequelle kann laut EnEfG entweder geführt oder diffus sein.
- Eine geführte Abwärmequelle transportiert die Abwärme kontrolliert und abgegrenzt, beispielsweise durch eine Rohrleitung.
- Eine diffuse Abwärmequelle gibt ihre erzeugte Wärmeenergie direkt und ungeleitet an die Umgebung ab.
- Gemäß der Definition im EnEfG ist ein abwärmeführendes Medium ein fester Stoff, eine Flüssigkeit oder ein Gas. Die Strahlung von Oberflächen zählt auch dazu.
Video: Abwärme schätzen vs. messen
Zusammenfassung und mehr: Was das Energieeffizienzgesetz konkret fordert und wie Unternehmen das wirtschaftlich umsetzen können, erklärt OPTENDA-Experte Dennis Ulke auch im Web-Seminar zum Thema Abwärme. Neben den konkreten Inhalten des Gesetzes und welche Pflichten daraus resultieren, die wir auch im folgenden Blog-Beitrag erläutern, geht er u.a. auch darauf ein, wie die Dateneingabe im Portal für Abwärme des BfEE erfolgt und welche Messtechnik sich für das Messen von Abwärme am besten eignet. Darüber hinaus stellt er noch einige Praxisbeispiele vor, wie Unternehmen die bei sich anfallende Abwärme bereits erfolgreich nutzen.
Reduktion und Meldung von Abwärme:
Was das EnEfG konkret verlangt
Um das bestehende Potenzial an Abwärme nutzen zu können, enthalten die Paragrafen §§16 und 17 EnEfG Unternehmen mehrere Pflichten vor. Diese gelten für alle Unternehmen mit einem Gesamtenergieverbrauch von über 2,77 GWh pro Jahr. Diese Schwelle wurde durch eine Novellierung des EDL-G von ursprünglich 2,5 GWh angehoben. Außerdem greifen Bagatellschwellen, die wir nach den konkreten Gesetzesvorgaben nachfolgend näher erläutern.
§16 EnEfG: Vermeidung und Verwendung von Abwärme
§16 EnEfG schreibt zunächst vor, dass Unternehmen ihre vorhandene Abwärme so weit wie möglich vermeiden, reduzieren oder verwenden müssen („technische und wirtschaftliche Zumutbarkeit“). Dabei ist auch eine mehrfache Verwendung der Abwärmemengen zu berücksichtigen. Diese „kaskadenförmige Nutzung“ sorgt dafür, dass die Wärmeenergie in mehreren Schritten genutzt wird, wobei die Temperatur in jedem Schritt abnimmt. Das maximiert die Effizienz der Abwärmenutzung, indem die Wärmeenergie für verschiedene Anwendungen verwendet wird, die unterschiedliche Temperaturanforderungen haben.
§17 EnEfG: Meldung über die Abwärmeplattform
Aufbauend auf §16 geht es in §17 um die Auskunftsplicht über die verbleibende Abwärme. Unternehmen müssen auf Anfrage die Informationen über ihre Abwärmepotenziale an mögliche Abnehmer wie z.B. Wärmenetzbetreiber weitergeben. Dazu gehören Angaben wie Unternehmensname, Standort, Wärmemenge, Verfügbarkeit und Temperatur.
Unabhängig von einer solchen Anfrage müssen Unternehmen diese Informationen jährlich an die Bundesstelle für Energieeffizienz (BfEE) melden. Das Ziel dieser Meldung ist der Aufbau einer Übersicht zu gewerblichen Abwärmepotenzialen in Deutschland, um die Planung der Wärmeversorgung von Kommunen zu fördern. Die Frist für diese Meldung ist der 31. März eines Jahres. Da die erste Meldung am 01.01.2025 fällig war, muss die nächste Meldung dann zum 31.03.2026 erfolgen. Für das Melden der Abwärme müssen Unternehmen die vom BAFA bzw. der BfEE bereitgestellte Online-Plattform für Abwärme verwenden.
Fokus auf Abwärmepotenziale
Im Merkblatt für die verpflichtende Abwärmemeldung an das BAFA sind genauere Informationen ausgeführt, was Unternehmen konkret für die Erfüllung der Vorgaben aus dem Energieeffizienzgesetz machen müssen. Denn bestimmte Abwärmequellen können bei der Meldung an das BAFA vernachlässigt werden: So beschränkt sich die Meldepflicht nur auf Abwärmepotenziale. Bei einem Abwärmepotenzial handelt es sich gemäß BAFA nur um geführte Abwärmequellen, die oberhalb einer definierten Schwelle liegen (siehe nächster Abschnitt). Unternehmen müssen ihre diffusen Abwärmequellen daher bei der Meldung nicht berücksichtigen.
Was die Daten zu Abwärmemengen angeht, schreibt das EnEfG nicht zwingend eine Messung vor. Falls nachvollziehbar dokumentiert, sind auch Schätzungen und Modellierungen möglich, um die relevante Abwärme in einem Abwärmekataster zu quantifizieren. Inwiefern Unternehmen davon Gebrauch machen sollten, erläutern wir weiter unten im Beitrag noch ausführlicher.
Bagatellschwellen bei der Abwärmemeldepflicht
Neben der Beschränkung auf Abwärmepotenziale sind im EnEfG außerdem noch Bagatellschwellen definiert, die Unternehmen, welche diese nicht überschreiten, von der Pflicht einer Meldung befreien. Die Grafik mit dem Prüfpfad der Meldepflicht ist eine Entscheidungshilfe, ob Unternehmen meldepflichtig sind oder nicht. Zusammengefasst gelten folgende Schwellenwerte:
- Anlagenschwelle: Abwärmemenge < 200 MWh pro Jahr
- Standortschwelle: Summe der Abwärmepotenziale < 800 MWh pro Jahr
Liegt ein Unternehmen bei allen Standorten unter der Bagatellschwelle, entfällt auch hier die Meldepflicht. Allerdings empfiehlt das BAFA eine interne Dokumentation der Prüfung, ob man meldepflichtig ist oder nicht.
Abwärme messen, berechnen oder schätzen?
Das EnEfG fordert also nicht zwingend, dass Unternehmen ihre Abwärmepotenziale messen, um sie an das BAFA zu melden. Eine Schätzung oder Berechnung bzw. Modellierung reicht aus – sofern sie nachvollziehbar und ausführlich dokumentiert ist. Die kurzen Definitionen grenzen die einzelnen Vorgehen voneinander ab und zeigen, wann diese Mehrwert bringen und wann sie ungeeignet sind.
Beim Schätzen der Abwärme wird auf Erfahrungswerte und allgemeine Annahmen zurückgegriffen. Dies kann durch den Vergleich mit ähnlichen Prozessen oder durch die Nutzung von Durchschnittswerten erfolgen. Dieser Ansatz ist weniger genau, aber schnell und kostengünstig. Er eignet sich gut für eine erste grobe Einschätzung des Potenzials. Will ein Unternehmen Maßnahmen zur Abwärmenutzung umsetzen, reichen diese Daten nicht aus.
Beim Berechnen der Abwärme werden mathematische Modelle und Formeln verwendet, um die Abwärmemenge basierend auf bekannten Prozessparametern zu ermitteln. Dies kann sehr genau sein, wenn die Modelle gut kalibriert sind und alle relevanten Parameter berücksichtigt werden. Eine solche Modellierung erfordert jedoch Fachwissen und kann sehr komplex sein. Häufig liegen aber nicht alle Parameter in der erforderlichen Genauigkeit vor, was die Berechnung der Abwärme ungenau machen kann.
Das Messen der Abwärme erfolgt durch den Einsatz von Messgeräten, wie z.B. Temperatur- und Durchflusssensoren oder Wärmemengenzähler, die direkt an den relevanten Stellen im Prozess installiert werden. Dieser Ansatz liefert genaue und verlässliche Daten über die tatsächlich anfallende Abwärme, erfordert aber Investitionen in eine passende Messinfrastruktur.
Wie Unternehmen eine solche Messinfrastruktur aufbauen können und was dafür nötig ist, erläutern wir in unserem Blog-Beitrag über die Erfassung und Nutzung von Wärme-/Kälteenergie genauer.
Warum Abwärme messen besser als schätzen ist
Natürlich „sparen“ Unternehmen zunächst Geld, wenn sie Abwärmepotenziale nur schätzen, und nicht in eine umfassende Messinfrastruktur investieren. Diese Betrachtung greift aber zu kurz: Stattdessen sollten Betriebe in diese vermeintlich einfache Rechnung auch die Kosten einbeziehen, die entstehen, wenn sie die geschätzten Abwärmepotenziale nicht für sich nutzen. Dann steigern sie dadurch auch ihre Energieeffizienz nicht, profitieren also auch nicht von den dadurch geringeren Energiekosten und haben entsprechend dauerhaft die höheren Kosten zu tragen.
Abwärmenutzung erfordert gemessene Daten
Will ein Unternehmen die Effizienzpotenziale seiner Abwärme nutzen und umsetzen, dann führt kein Weg an gemessenen Daten vorbei. Denn nur wenn ein Unternehmen über konkrete Daten zu seinen Abwärmepotenzialen verfügt, kann es einerseits den tatsächlichen Wert der Einsparung genau ermitteln und andererseits passende Maßnahmen zur Abwärmenutzung ableiten, die den vorhandenen Potenzialen auch entsprechen.
- Reichen Abwärmemengen und Temperaturniveau der Abwärme für eine Weiterverwendung im Unternehmen an anderer Stelle aus?
- Wie groß sind die Mengen, um sie – ggf. gewinnbringend gegen eine Vergütung – in ein Fernwärmenetz einspeisen zu können?
- Wie effizient ist der Wärmenutzungsprozess in den einzelnen Produktionsabschnitten und -prozessen überhaupt?
Die Antworten auf wichtige Fragen wie diesen liegen nur in gemessenen, hochaufgelösten Daten. Hochaufgelöst bedeutet, dass sie mindestens auf 15-Minuten-Werten basieren, welche heute gängige Messgeräte in der Regel liefern können.
Von der Abwärmemessung zur
KI-Anwendung
Beschäftigt sich ein Unternehmen mit Abwärmenutzung, beschäftigt es sich mit der Nutzung seiner „Abfälle“, mit denen es nicht nur seine Energiekosten senken kann, sondern potenziell durch die Einspeisung in Wärmenetze sogar Geld verdienen kann. Es lohnt sich also durchaus, die Perspektive zu wechseln und (messdatenbasiert) zu hinterfragen, welche Potenziale im eigenen Unternehmen liegen. Der positive Nebeneffekt: Gesetzliche Vorgaben wie die des Energieeffizienzgesetzes erfüllen sich dann ganz nebenbei. Verzichten Unternehmen auf genaue Messungen der Abwärme und bleiben beim Schätzen, nur um eben die gesetzliche Meldepflicht zu erfüllen, bleiben bestehende Potenziale für teils erhebliche Einsparungen unerkannt und ungenutzt.
Ein weiterer Hinweis ist an dieser Stelle wichtig: Nur mit hochaufgelösten Daten können KI-Anwendungen in absehbarer Zeit große Mehrwerte bringen. Mit Blick auf solche „Zukunft“-Potenziale geht es auch darum, die richtige Infrastruktur und Datenbestände aufzubauen – umso genauer und wertvoller sind dann die darauf aufbauenden Ergebnisse.
Wie steht es um Ihre Datenbasis im Hinblick auf die Abwärmenutzung oder im Energiemanagement allgemein? Vereinbaren Sie einen Termin mit unseren Experten, um Ihr Energiemanagement sowohl für die aktuellen Herausforderungen als auch zukünftige Potenziale gerüstet zu sein.
Bilder: Shutterstock, OPTENDA